Mit zerbrochenen Flügeln...
Kinder in Borderline-Beziehungen
©Manuela Rösel
Warum misshandeln
Borderline-Eltern ihre Kinder?
Menschen, die von der
Borderline-Störung betroffen sind, leiden. Sie leiden daran, zuviel oder
zuwenig zu fühlen, ihrer Leere ausgeliefert zu sein, unter ihrer ständigen
Angst etwas falsch oder nicht gut genug zu machen, oder in ihrer von ihnen
angenommenen Erbärmlichkeit, entdeckt zu werden. Sie glauben nur in dem
Augenblick daran, dass sie etwas gut gemacht haben, in dem Sie Bestätigung
erfahren, ohne diese Augenblicke mit den dazugehörigen, wohltuenden Gefühlen,
festhalten zu können und daraus lebensbereichernde Ressourcen zu bilden. Sie
sehen sich selbst so verzerrt, wie andere in einem der Zerrbildspiegel auf
Jahrmärkten. Das was sie glauben, in sich zu sehen, lässt sie verzweifeln. Sie
sind von sich angeekelt und abgestoßen, ohne Hoffnung darauf, dass jemand sie
wirklich lieben könnte. Sie hassen und verachten sich und versuchen auf ihre
Art, mit ihrer Abneigung gegen sich selbst fertig zu werden und ihre innere
Leere zu füllen, indem sie verzweifelt jemanden suchen, der sie liebt und nie
verlässt. In ihrem Bemühen, ihr „Zerrbild“ nach außen hin zu kaschieren,
entwickeln sie Kreativität, Charme und Empathie, um andere dazu zu bewegen,
sie nicht fortzustoßen. Sie entwickeln ein seelisches Kindchenschema, mit dem
sie gleichermaßen faszinieren und betören aber auch manipulieren und abstoßen.
Borderline-Betroffene sind in
ihrem tiefsten Sein wie hilflose Kleinstkinder. Der Spaltungsmechanismus
(Schwarz- Weißdenken) entstammt jener frühkindlichen Phase, in der ein Kind
die Mutter in ihrer Zuwendung als nur gut (sie ist da und versorgt), oder als
nur schlecht (sie ist nicht da und versorgt nicht) wahrnimmt. Im gleichen
Zeitraum ist das Kind von seiner Mutter zutiefst abhängig und symbiotisch mit
ihr verschmolzen. Es hat ein existentielles RECHT, ihre bedingungslose
Zuwendung einzufordern. Kein Mensch würde das Verhalten eines 10 Monate alten
Kindes in Frage stellen, welches durch schreien darauf aufmerksam macht, dass
es versorgt werden will. Das hemmungslos weint, wenn die Mutter das Zimmer
verlässt, aus der Angst heraus, dass sie nicht wieder kommt (fehlende
Objektkonstanz).
Kleinstkinder können nicht
anerkennen, dass ihre Mütter oder Bezugspersonen Bedürfnisse haben, sie sind
in ihrem Sein darauf zentriert einzufordern. Sie sind Egozentriker, die zu
Recht beständig Aufmerksamkeit und vor allem Bedingungslosigkeit verlangen.
Das Leben erlaubt es ihnen, sie dürfen fordern. Dabei erfahren sie sich aber
als abhängig, ohne ihre Mutter sind sie nicht lebensfähig. Ihren Wert erfahren
sie in dem Maße, in dem diese sich ihnen zuwendet. Sie selbst sind, genau wie
die Mutter, dann gut, wenn sie sich zuwendet und sie sind dann schlecht, wenn
sie sich abwendet. Sie definieren sich in ihrem Sein über die Resonanz ihrer
Bezugsperson. Erst im Prozess der Ablösung von der Mutter, dem herantasten an
das Leben in kleinen Schritten, um immer wieder zur sicheren Geborgenheit der
Mutter zurückzukehren und wieder einen neuen Anlauf zu wagen in der Welt zu
bestehen, erfahren sie Selbst-Bewusst- Sein. Sie entdecken dabei, dass sie
allein überleben können und unabhängig sind. Mit der Chance einer erfüllenden
Kindheit, machen sie mit der Zeit die Erfahrung, dass sie in ihrer Existenz
nicht von ihrer Mutter abhängig sind. Sie lösen sich von ihr und aus der
bedingungslosen Verschmelzung. Sie werden erwachsen.
Borderline-Persönlichkeiten
sind nie erwachsen geworden. Ihren Symptomen nach verharren sie genau an jenem
Punkt, an dem sie mit der Mutter noch bedingungslos verschmolzen sind. Und so
verhalten sie sich auch.
Wenn Borderline-Eltern, ihre
Kinder systematisch vernachlässigen, misshandeln oder sogar missbrauchen,
steht dahinter genau die zutiefst infantile Persönlichkeitsstruktur, des noch
verschmolzenen, abhängigen und einfordernden Kleinstkindes. Die egozentrische,
bedingungslose Befriedigung der eigenen Bedürfnisse zählt mehr, als die
Versorgung des Kindes. Dabei stehen sie in Konkurrenz zu ihrem Kind nach dem
Motto „ich oder du“...
Funktionelle Gegenüberstellung
typischer Verhaltensweisen von gesunden und Borderline-Eltern
Die folgende Auflistung stellt
grundlegende, elterlichen Funktionen von Borderline-Eltern denen gesunder
Eltern gegenüber. Sie bezieht sich ausschließlich auf das von Borderline
betroffene Elternteil und schließt den Partner, unabhängig davon ob dieser
co-abhängig ist oder nicht, aus. Bei dieser Gegenüberstellung handelt es sich
um eine verallgemeinernde Darstellung einschränkender Funktionen. So wie eine
Borderline-Persönlichkeit nicht von jedem Symptom und jeder symptomatischen
Verhaltensweise betroffen ist, agiert auch nicht jedes Borderline- Elternteil
im Sinne dieser einschränkenden Auflistung.
Funktionale, gesunde Eltern |
Dysfunktionale Borderline-Eltern |
Tragen die Verantwortung für sich und können für
sich sorgen |
Übertragen ihrem Kind die Verantwortung und Sorge
für sich |
Sehen sich als eigenständige Menschen und gestehen
ihrem Kind ebenfalls Eigenständigkeit zu |
Nötigen ihr Kind in einen Verschmelzungsprozess
(Erweiterung des eigenen Ich’s)und gestehen ihm keine Eigenständigkeit zu |
Reagieren auf wechselnde Gefühle ihrer Kinder
empathisch, akzeptieren sie und vermitteln so Selbstsicherheit |
Bewerten, verurteilen oder setzen die Gefühle des
Kindes herab, wenn diese mit den eigenen nicht identisch sind. Vermittelt so
tiefe Selbstunsicherheit |
Fördern ihr Kind in seiner Fähigkeit selbstständig
zu werden |
Halten ihr Kind abhängig |
Vermitteln ihm Sicherheit und Geborgenheit |
Übertragen das eigene Chaos und ihre ständig
wechselnden emotionalen Zustände auf ihr Kind |
Sind aufmerksam und setzen zum Wohl des Kindes
Grenzen |
Verhalten sich oft permissiv (gleichgültig) und
setzen keine Grenzen |
Freuen sich mit ihrem Kind über Fortschritte und
Erfolge und motivieren es in seiner Entwicklung |
Sehen die Fortschritte ihres Kindes als Bedrohung
an und demotivieren sie durch Herabsetzung der Erfolge |
Vertrauen ihrem Kind und ermutigen es
eigenständige Erfahrungen zu machen |
Misstrauen ihrem Kind und schränken es durch
andauernde Kontrolle ein |
Vermitteln ihrem Kind ein positives Weltbild |
Vermitteln ihrem Kind ein negatives Weltbild |
Ermutigen ihr Kind eigenständige Meinungen zu
entwickeln und zu vertreten |
Bestrafen ihr Kind für eigenständige Meinungen |
Freuen sich darüber, wenn ihre Kinder Freunde
haben und beliebt sind |
Tolerieren die sozialen Kontakte ihrer Kinder
nicht und versuchen, sie zu isolieren |
Trösten ihr Kind, wenn es ängstlich oder traurig
ist |
Implizieren ihrem Kind mitunter Angst, um es
kontrollieren zu können |
Konfrontieren ihr Kind mit logischen Konsequenzen
von Handlungsweisen |
Vermitteln ihrem Kind keinen Zusammenhang von
Ursache und Wirkung |
Bleiben ihren Kindern zugewandt, auch wenn diese
Fehler machen oder sich abgrenzen |
Distanzieren sich von ihren Kindern, wenn diese
nicht im eigenen Sinn funktionieren oder sich abgrenzen |
Vermitteln ihrem Kind Respekt und Akzeptanz und
bestärken es so in seiner Selbstachtung |
Respektieren und akzeptieren ihr Kind nicht und
untergraben so seine Selbstachtung |
Unterstützen es liebevoll im Lösungsprozess vom
Elternhaus |
Versuchen ihr Kind durch Schuldgefühle im
Lösungsprozess zu behindern |
Typische
Borderline-Verhaltensweisen und ihre Auswirkungen auf ein Kind
...
Selbstverletzende und suizidale
Verhaltensweisen
Borderline-Betroffene können
dazu neigen, auftretende Anspannungen durch Selbstverletzungen oder
suizidales Verhalten zu kompensieren. Oft verleihen Sie so auch ihrer Wut
auf sich oder anderen Ausdruck. Sie bestrafen sich für ihre verinnerlichte
Wertlosigkeit oder stellvertretend für andere, so dass sie eine mögliche,
bedrohliche Konfrontation mit ihren Konfliktpartnern vermeiden. Mitunter
werden Selbstverletzungen oder Selbstmorddrohungen auch genutzt, um
Bezugspersonen in gewünschte Handlungen zu nötigen. Dazu zählen u. a.
eindringliche Aufmerksamkeit, Verantwortungsübernahmen für Konfrontationen
mit alltäg- lichen Belastungen, denen der oder die Betroffene sich selbst
nicht gewachsen sieht oder das bedingungslose Anpassen der Bezugsperson.
Selbstverletzende Handlungen können z. B. das beibringen von
Schnittverletzungen oder Verbrennungen sein, das sich selbst schlagen oder
Haare ausreißen.
Auch wenn derartige
Verhaltensweisen ein mehr als hilfloser Versuch sind mit über- wältigenden
Emotionen und Anspannungen umzugehen, so sind sie doch für nahestehende
Personen Auslöser tiefster Verzweiflung und Hilflosigkeit. Partner oder
Kinder werden zudem auch sehr oft mit einer Verantwortungszuschreibung für
die Verletzungen oder Androhungen konfrontiert. „Du treibst mich dazu, das
zu tun...“ oder „Du kannst das nur verhindern, wenn du...“
Für Kinder ist das Erleben
von Szenarien, in denen sich Vater oder Mutter verletzen, bzw. mit Suizid
drohen, schwer traumatisierend. Hilflosigkeit und Ohnmacht lassen sie
erstarren, gleichzeitig wissen Sie, dass sie schnell handeln müssen. Sie
sind gezwungen, eigene Gefühle auszuschalten und müssen jegliche Impulse der
Selbstfürsorge ignorieren und den Betroffenen oder auch das
Partner-Elternteil retten und beschützen, um so auch selbst eine
Überlebenschance zu haben. Dazu kommen, auf Grund der zugewiesenen
Verantwortung, oft überwältigende Schuldgefühle, die sie manipulierbar und
gefügig machen.
Daniela war 16 als sie einen
heftigen Streit zwischen ihren Eltern erlebte. Zunächst war es wie jeden
Tag. Die Eltern schrieen sich an, beschuldigten und beschimpften sich
gegenseitig. Weil Daniela Angst hatte, dass der Vater die Mutter verletzen
oder töten könnte, unterdrückte sie ihre Impulse wegzulaufen oder sich
selbst zu schützen und so versuchte sie sich zwischen die Eltern zu stellen
und dafür zu sorgen, dass sie sich nicht gegenseitig weh taten. Irgendwann
ging der Vater kurz hinaus und kam mit einem Seil in der Hand zurück. „Ihr
Schweine habt mich so weit gebracht, dass ich mich jetzt umbringe...“ Dann
ging er.
Die Polizei, die von der
Mutter gerufen wurde, war ebenso rat- wie hilflos. Es wurde ein Protokoll
erstellt und um Rückruf gebeten, falls der Vater wieder nach Hause käme. Um
das zitternde, weinende Mädchen kümmerte sich niemand...
Für Daniela gab es derartige
Situationen häufig. Verbale und körperliche Gewalt haben einen Großteil
ihrer Kindheit begleitet. Heute ist sie 41 Jahre alt und hat mehrere
missbräuchliche Beziehungen hinter sich. Sie kann nur schwer Menschen an
sich heranlassen. Lautere Stimmen, schnelle Gesten oder bedrohliche
Körperhaltungen lassen sie noch immer erstarren. Obwohl sie durch mehrfache
Psychotherapien weiß, dass sie keinerlei Schuld an dem Erlebten trägt, fühlt
sie sich schuldig. Für jede eigene Meinung, für jedes eigene Gefühl und
Bedürfnis und sogar dafür, dass sie überhaupt da ist...
Eine besonders bedrohliche
Konstellation ergibt sich auch aus einer Erweiterung suizidaler
Verhaltensweisen des Betroffenen. Häufig neigen sie dazu, sich bewusst in
gefährliche Situationen (z. B. Riskantes Autofahren oder gefährliche
Sportarten) zu begeben, wobei Partner oder Kinder genötigt werden, sich
ebenfalls darauf einzulassen. Ein Partner hat zumindest noch die
Möglichkeiten frei zu entscheiden und sich gegen gefährdende Forderungen
abzugrenzen, ein Kind jedoch ist den Umständen völlig ausgeliefert. Unfälle,
welche die Gesundheit oder das Leben des Kindes in Gefahr bringen sind dann
vorprogrammiert.
...